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Christian Schmidt

Bob & Linda:
Ein tödlicher Fall

Eine junge Frau stürzt in den Tod - Selbstmord ausgeschlossen. Ihr Freund? Ein bekannter Politiker. Ihre Vergangenheit? Ein dunkles Geheimnis. Immer mehr Menschen lassen ihr Leben, und Bob und Linda müssen alles riskieren, um den Täter zu stellen...

Als Taschenbuch (12,00 €) und als E-Book (7,49 €) in diesen Shops erhältlich

Der Hochzeitsmord

Diese Geschichte ist eine Leseprobe zum Buch "Bob & Linda: Ein tödlicher Fall".

»Meine erste Hochzeit. Vielleicht hätte ich einen anderen Anzug anziehen sollen«, brummte Bob mürrisch. Linda schmunzelte.

»Deine Persönlichkeit ist ein größeres Problem als dein Anzug, Bob«, stichelte sie. »Versuch wenigstens, nicht all die Brautjungfern flachzulegen.«

»Immerhin gönnst du mir die Braut«, folgerte Bob und lenkte den Wagen auf einen Kiesweg, der in einen Park führte.

»Nichts gegen deinen brachialen Charme, aber die wird wohl garantiert keinen Bock auf dich haben unter diesen Umständen«, gab Linda trocken zurück und blickte beeindruckt auf das kleine Landschloss, das langsam hinter den Bäumen sichtbar wurde.

Es handelte sich um ein idyllisches Hotel, in dem häufig Hochzeitsgesellschaften zu Gast waren, da dort nicht nur die Trauung selbst, sondern auch die ganze Hochzeitsfeier in einem edlen Ambiente abgehalten werden konnte. Die Inhaber hatten sich auf solche Komplettangebote spezialisiert. Nicht vorgesehen war jedoch, dass der Bräutigam den Hochzeitstag gar nicht erst überlebt.

Bob parkte den Wagen neben den Einsatzwagen von Polizei und Rettungsdienst. Auch ein Leichenwagen war bereits eingetroffen. Die Umstände, unter denen der Tote aufgefunden worden war, legten nahe, dass es sich hier nicht um einen Unfall handelte. Die Spurensicherung war schon vor Ort und die uniformierten Kollegen versuchten derweil, die Hochzeitsgesellschaft vom Fundort fernzuhalten und ihre Personalien festzustellen. Nebenbei mussten sie noch verhindern, dass jemand stiften ging.

Bob und Linda schauten sich etwas gequält an. Normalerweise war es am besten, wenn Zeugen nicht miteinander redeten, bevor man ihre Aussage aufnahm, da dies die Erinnerung verfälschen konnte. Zeugenaussagen waren sowieso schon nicht besonders zuverlässig, aber die Kontaminierung durch Hörensagen sorgte in der Vergangenheit schon oft dafür, dass die Ermittler zunächst falsche Spuren verfolgten.

Unter den aktuellen Umständen war es allerdings unmöglich gewesen, die Hochzeitsgäste voneinander zu isolieren und Gespräche zu vermeiden. Die beiden Beamten konnten nur darauf hoffen, dass es in diesem Fall genügend andere Hinweise auf den oder die Täter gab und man sich nicht ausschließlich auf die fehlbaren Erinnerungen schon leicht angetrunkener Partygäste verlassen musste.

»Bob! Linda! Da seid ihr ja endlich!«, begrüßte sie der Polizist am Eingang des Hotels.

»Hallo Max. Was kannst du uns erzählen?«

Max Theiss war länger bei der Polizei als Bob, aber bevorzugte es, weiter im Streifendienst tätig zu sein. Dennoch schätzte er die Kollegen von der Kripo sehr, gerade Bob und Linda, die bei Vorgesetzten zwar eher berüchtigt waren, aber eine bemerkenswerte Aufklärungsquote hatten, ganz besonders bei Morddelikten.

»Der Tote heißt Rupert Porter, sechsundzwanzig Jahre alt, IT-Techniker bei einer großen Versicherung, kommt ursprünglich aus Großbritannien. Er hat heute geheiratet, wollte sich nach der Trauung kurz frisch machen und wurde nach einer guten Stunde von der Braut im Hotelzimmer gefunden.«

»Dann hat er ja nicht lange leiden müssen«, schlussfolgerte Bob und bekam dafür von Linda einen Stoß mit dem Ellbogen in die Seite.

»Wissen wir schon was über die Todesursache?«, fragte Linda.

»Nichts Konkretes«, meinte Max bedauernd, »es war keine Wunde zu sehen und kein Blut. Da muss wohl die Gerichtsmedizin klären, was zum Tod geführt hat. Ich vermute Gift.«

»Und was wissen wir über die Braut?«, fragte Linda weiter.

Max schaute auf seine Notizen.

»Eine Paula Blenkhorn, dreiundzwanzig Jahre alt, Kosmetikerin. Ist auch erst vor drei Jahren hergezogen, aber sonst nichts Bemerkenswertes.«

»Blenkhorn«, murmelte Linda, »bei dem Namen hätte ich mir auch früh einen Mann gesucht.«

»Aber insgesamt ist ›Paula Porter‹ auch nicht so viel besser«, urteilte Bob und wandte sich wieder an Max: »Können wir hoch ins Zimmer?«

»Ja, die Spurensicherung ist nahezu fertig und der Tote kann gleich eingetütet und in die Gerichtsmedizin gefahren werden«, antwortete Max und wies den Kollegen den Weg.

Zu Bobs Überraschung war die Hochzeitssuite weniger kitschig, als er befürchtet hatte. Es gab Stuck an der Decke, verschnörkelte Türklinken, ein wuchtiges Himmelbett, aber immerhin war die Farbgebung dezent. Sogar der flauschige Teppich war nicht bordellrot.

»Bordeauxrot. Du meinst bordeauxrot«, korrigierte Linda ihn.

»Erstens meine ich tatsächlich puffrot und zweitens: Ich habe das nicht mal gesagt, sondern nur gedacht!«, protestierte Bob.

Während er zusah, wie zwei Leute einen jungen, nackten Mann in einen Leichensack hoben, stupste ihn seine Kollegin an.

»Schau mal, das Fenster«, zeigte Linda auf die gegenüberliegende Seite des Zimmers.

»Die Scheibe ist kaputt. Merkwürdig«, wunderte sich auch Bob.

»Bob! Linda! Kommt rein, wir sind fast fertig!«, begrüßte sie ein Kollege im Einweg-Overall.

Tim leitete diesen Einsatztrupp der KTU, der Kriminaltechnischen Untersuchung, die die Spurensicherung und die anschließende Analyse der Funde übernahm. Bob und Linda hatten oft mit ihm zu tun. Tim wusste zu schätzen, dass Bob und Linda nicht wie die Anfänger durch die Tatorte latschten und mit ihrer Trampeligkeit Spuren vernichteten, und Bob und Linda waren froh, dass Tim ihnen einen Großteil der lästigen Arbeit abnahm, auch wenn die Möglichkeiten naturgemäß hinter denen von CSI und ähnlichen Fernsehserien zurückblieben. Dennoch neckten sie Tim gelegentlich, indem sie ihm vorschlugen, er möge ein GUI in VisualBasic programmieren, um IP-Adressen zurückverfolgen zu können.

»Hallo Tim. Kannst du uns schon was sagen?«, fragte Linda, während sie den Raum betraten.

»Das Opfer ist vermutlich vergiftet worden. Es gibt keine äußeren Verletzungen«, bestätigte Tim das, was Max vorhin schon andeutete. »Den Leichenflecken nach zu urteilen, trat der Tod ungefähr vor anderthalb Stunden ein. Offensichtlich hatte er vorher geduscht, er trug nur ein Handtuch um seine Hüften.«

Bob wippte auf seinen Füßen hin und her, was ein schmatzendes Geräusch verursachte. Er runzelte die Stirn.

»Hat der Mann hier vor dem Bett geduscht? Der Teppich ist ja klitschnass!«

»Nein, aber der Teppich ist tatsächlich untypisch sumpfig«, bestätigte Tim und hielt eine Plastiktüte mit einer Flasche darin hoch. »In der linken Hand des Toten befand sich diese Wasserflasche, als er gefunden wurde. Der größte Teil ist ausgelaufen, nachdem er hingefallen war, aber wir hoffen, der letzte Rest wird uns verraten, was für ein Gift ihn umgebracht hat. Und hoffentlich ein paar Fingerabdrücke, die nicht nur von ihm stammen.«

Linda zeigte auf einen Tisch in der Ecke, auf dem einige Gläser und eine weitere Wasserflasche standen.

»Guck mal, da steht noch so eine.«

»Offensichtlich steht auf jedem Zimmer so eine Wasserflasche als kleine Aufmerksamkeit. Die von diesem Zimmer ist aber nicht geöffnet worden, der Tote muss die Flasche, aus der er getrunken hatte, von irgendwo anders herhaben«, erklärte Tim.

Tim packte die Flasche in eine Kiste und wandte sich wieder Bob und Linda zu.

»Das ist aber nicht alles. Schaut mal genau auf den Teppich.«

Die beiden Ermittler ließen konzentriert ihre Blicke schweifen.

»Da ist ein Loch«, stellte Linda schließlich fest.

»Genau. Das ist ein Einschussloch. Es war direkt neben dem Kopf des Toten«, erklärte Tim.

»Aber er wurde nicht von der Kugel getroffen?«, vergewisserte sich Linda.

»Nein. Wie gesagt: Äußerlich ist der Mann unversehrt.«

Bob kniete sich auf den Boden, senkte seinen Kopf bis kurz über das Einschussloch und blickte zum Fenster.

»Wenn nicht gerade ein Eichhörnchen auf ihn geschossen hat, kam der Schuss jedenfalls auch nicht durchs Fenster«, schlussfolgerte er. »Da draußen ist nichts, wo ein Schütze stehen könnte, um den Boden zu treffen.«

»Die meisten Scherben sind auch draußen auf dem Fensterbrett«, bemerkte Linda. »Das Fenster wurde von innen eingeschlagen.«

Bob schaute sich noch einmal um. »Ich sehe keine Kampfspuren. Wenn also jemand hier drin war, hat er vermutlich schon geschossen, als der Mann bereits kampfunfähig war. Aber wenn der Täter Porter erschießen wollte, um sicherzugehen, dass das Opfer nicht mehr aufsteht, warum ballert er dann daneben?«

»Sieht so aus, als wäre das wieder so ein Fall, bei dem sich der Mörder hartnäckig weigert, neben dem Opfer mit der Tatwaffe in der Hand zu stehen und zu sagen: ›Ja, verdammt, ich hab’ ihn gekillt!‹«, konstatierte Linda und blickte ihren Partner an. »Das heißt, wir müssen wieder rätseln.«

Bob schnaufte leicht genervt und sagte dann: »Na gut, dann hören wir uns mal an, was die Angehörigen uns sagen können.«

Er schickte sich an, das Zimmer zu verlassen, bemerkte aber, dass Linda grübelnd auf das große Himmelbett starrte.

»Linda, vielleicht können wir uns nachher noch darin wälzen, aber wir müssen jetzt arbeiten.«

Linda schaute ihren Partner nachdenklich an.

»Irgendwas stört mich, aber ich weiß nicht was.«

Sie warf noch einen Blick aufs Bett und folgte ihrem Partner schließlich, der geduldig an der Tür wartete.

***

Die Braut saß weinend im Hotelzimmer ihrer Eltern, die sie – mit marginalem Erfolg – zu beruhigen versuchten. Sie hatte schulterlanges blondes Haar und ein recht niedliches Gesicht, dazu eine sportliche Figur. In Clubs war sie garantiert nicht darauf angewiesen, nur fürs Resteficken abgeschleppt zu werden, dachte sich Linda und tadelte sich gleich darauf für diesen Gedanken. Sie verbrachte zu viel Zeit mit Bob. Der wiederum war beeindruckt, dass ein IT-Techniker so einen heißen Feger abbekam. Zu schade, dass der arme Kerl das nicht lange genießen konnte.

Paula, noch im Hochzeitskleid, hatte ihren Kopf in der Schulter ihres Vaters vergraben und schluchzte herzerweichend, während ihre Mutter etwas hilflos über ihren Rücken strich. Bob und Linda schauten sich kurz an und nickten sich zu, bevor sie das Zimmer betraten. Linda würde hier das Heft in die Hand nehmen. Bob wusste, dass er sehr direkt war, und auch wenn er das normalerweise als Vorteil empfand, sah er ein, dass dies in gewissen Momenten eher unangebracht war – zum Beispiel, wenn eine Braut kurz nach der Hochzeit feststellen muss, dass »bis dass der Tod euch scheidet« schon wenige Stunden später traurige Relevanz erlangt.

»Entschuldigung? Mein Name ist Linda, das ist mein Partner Bob, wir sind von der Kripo.«

Paula blickte die Beamtin mit roten Augen an. Verlaufene Schminke zog sich über das ganze Gesicht. Bob konnte den Gedanken nicht wegschieben, dass die Reinigung des Anzugs ihres Papas ganz schön teuer sein würde. Linda kniete sich vor die Braut.

»Ich weiß, es ist schwierig, jetzt schon über alles zu reden. Aber vielleicht können Sie uns trotzdem erzählen, was passiert ist.«

»Ich weiß es auch nicht«, schniefte Paula. »Wir sind nach der Trauung alle in den Festsaal gegangen für den Hochzeitsschmaus, und danach wollte sich Rupert etwas frischmachen, bevor wir die Hochzeitstorte anschneiden. Nach einer Stunde habe ich mich dann doch gewundert, wo er bleibt, also bin ich mit Papa hoch zu unserem Zimmer. Ich machte die Tür auf, und da lag Rupert auf …«

Paula konnte den Satz nicht beenden. Ein neuer Weinkrampf schüttelte das arme Mädchen. Ihr Vater räusperte sich.

»Er lag einfach nackt auf dem Boden. Paula wollte zu ihm, aber ich wusste, dass es zu spät ist. Ich habe erste Leichenflecken an seinem Körper gesehen und das kaputte Fenster auch. Also habe ich meine Tochter festgehalten, damit keine Spuren verwischt werden.«

»Das ist erstaunlich besonnen in so einer Lage«, bemerkte Bob.

»Ich war früher selbst mal bei der Polizei, wissen Sie?«, erklärte Paulas Vater. »Und das kam mir verdächtig vor. Dass ein junger Mann tot umfällt, ist lediglich ungewöhnlich. Aber dass zugleich eine Fensterscheibe zu Bruch geht, das ist doch ein zu großer Zufall.«

»Haben Sie gehört, wie die Fensterscheibe zerbrochen ist? Oder ist ihnen etwas anderes aufgefallen?«, fragte Linda, die nicht direkt von dem Schuss reden wollte, der auf das Opfer abgefeuert worden sein musste.

Die Eltern und die Braut schüttelten den Kopf.

»Unten im Festsaal war die Feier im Gange, mit sehr lauter Musik«, erklärte der Brautvater.

Linda wandte sich wieder an Paula.

»Hatte Rupert Feinde? Hat er mal jemanden erwähnt, mit dem er Stress hatte?«

Paula dachte nach.

»Er hat nie was gesagt. Aber es gibt da wohl einen, der ihn auf den Tod nicht ausstehen konnte. Ich glaube, er heißt Plotkowiak … Ja, Kevin Plotkowiak!«, sagte die Braut aufgeregt.

»Kennen Sie diesen Plotkowiak?«, fragte Bob, während er den Namen in sein kleines Notizbuch eintrug.

Paula zuckte bedauernd mit den Schultern.

»Nein. Wie gesagt, Rupert hatte nie von ihm erzählt. Ich habe von anderen davon gehört, aber nie mit Rupert darüber geredet.«

»Und weswegen konnte Plotkowiak Ihren Mann nicht leiden? Haben Sie da eine Ahnung?«

»Nein. Ich habe nur gehört, dass die sich heftig gezofft haben sollen, aber weswegen … Keinen Schimmer. Ich habe selbst auch nie etwas davon mitbekommen, aber Rupert wollte ja auch nie, dass ich mir Sorgen um ihn mache, deswegen war er eher still, wenn ihn was belastete.«

Linda nickte verstehend.

»Wissen Sie, wo man diesen Kevin Plotkowiak finden kann?«

»Nein. Ich kenne ihn nicht, habe ihn auch nie gesehen. Ich habe halt nur gehört, dass es diesen Zwist gab.«

»In Ordnung. Sie haben gesagt, dass Ihr Mann etwa eine Stunde, bevor Sie ihn fanden, nach oben gegangen ist. Waren sonst alle auf der Feier?«, fragte Linda nach.

»Ich glaube schon«, sagte Paula verwirrt. »Einige waren zwischendurch auf dem Klo, und andere haben draußen geraucht, aber ich denke, es war jeder da. Warum fragen Sie?«

»Eine Standardfrage. Wir müssen wissen, wer sich zum Zeitpunkt der Tat wo aufhielt und vielleicht etwas gesehen haben könnte«, antwortete die Ermittlerin.

»Ich habe nicht groß darauf geachtet. Ich hing die ganze Zeit mit meinen Mädels rum.«

»Mädels?«, wurde Bob hellhörig.

»Ja, meine besten Freundinnen. Jessi, Mia und Melina. Sie waren die Brautjungfern.«

»Sind sie tatsächlich Jungfern?«, hakte Bob nach, worauf er von Linda wieder einen Stoß mit dem Ellbogen bekam.

»Ignorieren Sie meinen Partner. Normalerweise trägt er einen Maulkorb, aber den hat er zerbissen«, entschuldigte Linda das Verhalten ihres Kollegen und zog eine Visitenkarte aus der Tasche, die sie der Braut reichte. »Wir haben vorerst keine weiteren Fragen an Sie, aber falls Ihnen etwas einfällt, was uns weiterhelfen könnte, rufen Sie bitte sofort an oder schreiben Sie eine E-Mail.«

***

»Ich vermute, Sie sind die Brautjungfern«, folgerte Bob messerscharf und musterte die drei jungen Frauen, die vor ihm und seiner Kollegin standen. Sie alle drei trugen das gleiche cremefarbene Kleid und hatten ihre Frisuren trotz unterschiedlicher Haarfarben ähnlich gestylt. Bob fragte sich, ob sie seinen Namen auch in der gleichen Tonlage stöhnen würden, wenn er sie sich in einem privateren Umfeld vornähme. Ob einzeln oder gemeinsam, war dabei nebensächlich. Bob war flexibel. Linda reagierte mit einem Augenrollen, als könnte sie seine Gedanken lesen.

»Ja, ich bin Jessi. Jessica Kovac«, sagte die Brünette und gab den Polizisten die Hand. Sie lächelte freundlich, aber man sah ihren Augen an, dass diese ganze Sache sie mitnahm.

»Und ich bin Mia Wanderer«, stellte sich die weißblonde Frau neben Jessi vor und nickte höflich.

»Dann sind Sie Melina?«, fragte Linda die dritte im Bunde. Die strich sich ihre roten Haare aus dem Gesicht und reichte den Ermittlern ebenfalls die Hand.

»Ja. Melina Brink. Haben Sie schon herausgefunden, wer es war?«

»Wir sind noch ganz am Anfang«, sagte Bob, während er sein Notizbüchlein aus der Anzugjacke holte. »Haben Sie etwas Verdächtiges beobachtet?«

»Leider nicht. Wir waren ja die ganze Zeit hier im Festsaal bei Paula, soweit ich mich erinnere«, überlegte Jessi.

»Außer, wenn wir auf der Toilette waren. Wir haben schon vorher ziemlich viel getrunken«, warf Mia ein.

»Ja, besonders du. Du warst öfter auf dem Klo als wir«, stichelte Melina. Linda hatte den Eindruck, dass die junge Frau versuchte, die traurige Stimmung etwas aufzulockern – und dabei gnadenlos scheiterte.

Bob wechselte das Thema.

»Wie gut kannten Sie den Bräutigam?«

»Schon ganz gut«, antwortete Melina, »nicht so gut wie Paula natürlich, aber wir haben relativ oft was zusammen unternommen, und dabei lernt man sich natürlich auch ein bisschen kennen. Er war echt ein prima Kerl. Bisschen still und am Anfang etwas schüchtern, aber sobald er auftaute, brachte er uns alle zum Lachen. Ich glaube, damit hat er Paula erst so richtig erobert.«

Die anderen beiden Frauen nickten.

»Hatte er mal erzählt, ob er Feinde hat?«

»Nein«, sprach Jessi, »aber wir haben gehört, dass er Ärger mit irgendeinem Kevin hatte. Kevin … Pawlow oder so was.«

»Plotkowiak«, korrigierte Mia. »Kevin Plotkowiak hieß der.«

»Genau, das war der Name«, bestätigte Melina. »Aber den haben wir nie gesehen.«

»Dann wissen Sie also auch nicht, wo man den findet?«, fragte Bob.

»Leider nicht, aber es gibt sicher nicht so viele Leute in der Gegend mit diesem Namen«, entgegnete Mia.

»Da haben Sie wohl recht«, sprach Bob, steckte sein Notizbuch ein und verteilte drei Visitenkarten an die Damen. »Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt oder Sie ein gewisses Bedürfnis haben, dann melden Sie sich bitte bei mir. Auch gerne nachts.«

Als Bob und Linda weggingen, war er sich ziemlich sicher, dass Linda ihm mit Absicht auf den Fuß getreten war.

***

Linda seufzte. Bob und sie hatten sich aufgeteilt, um die restlichen Gäste und Angestellten auszuhorchen. Linda hatte jetzt jede Menge Aussagen von Leuten, die nichts mitbekommen hatten. Ein paar wenige Gäste hatten ebenfalls Kevin Plotkowiak erwähnt, aber niemand hatte diesen Kerl je zu Gesicht bekommen oder wusste Näheres über ihn. Und jetzt wartete sie im Foyer schon seit geschlagenen zehn Minuten auf ihren Partner. Entnervt holte sie ihr Handy hervor und wählte ihren Kollegen an.

»Bob, wo steckst du?«, fragte sie ungeduldig.

»Ich bin noch mal nach oben in die Hochzeitssuite gegangen. Komm her!«

Linda schüttelte den Kopf, steckte ihr Smartphone wieder ein und ging zu den Treppen. Die Spurensicherung war mit der Hochzeitssuite schon lange fertig, also was wollte Bob noch da oben?

Als Linda in das Zimmer trat, hatte sie sich fest vorgenommen, wütend zu sein. Dann allerdings sah sie Bob, der sich lasziv auf dem breiten Bett räkelte und ein Kissen mit einem großen Herzen darauf streichelte, während er kokett zu seiner Partnerin blickte.

»Wäre es nicht zu schade, wenn dieses Bett heute keinen Sex sehen würde, meine Liebe?«, fragte er grinsend und wackelte mit den Augenbrauen.

»Du bist ein Spinner, Bob«, gluckste Linda, bevor sie stutzte. »Sag mal, dieses Kissen …«

Bob schaute fragend auf das Kissen und drehte es prüfend hin und her. Auf der Rückseite war ebenfalls ein großes Herz, aber es war ein ganz ordinäres Kissen, eines der dekorativen Sorte, die manche Menschen so gerne auf Sofas und Betten platzieren, weil sie es nicht ertragen können, dass jemand Möbel benutzt, ohne sie vorher unter Kissenbergen freilegen zu müssen.

»Es ist ein Kissen.«

»Danke für die Analyse, Herr Professor, aber wo hast du das her?«

»Das lag hier auf dem Bett.«

»Vorhin aber noch nicht!«, rief Linda. »Jetzt weiß ich, was mir vorhin so komisch vorkam. Es war eine ungerade Anzahl Kissen auf dem Bett! Auf der einen Seite lag ein Kissen weniger. Aber jetzt sind es wieder gleich viele pro Seite. Und vorhin hatte keins der Kissen ein Herz, da bin ich mir sicher.«

Bob untersuchte noch einmal das Kissen.

»Okay, dann muss in der Zwischenzeit jemand hier drin gewesen sein. Vielleicht hatte jemand vom Personal das Kissen gebracht, weil ihm auffiel, dass eins fehlt?«, spekulierte er.

»Wir fragen nach. Aber vorsichtshalber nehmen wir das Kissen mit«, beschloss Linda.

Sie schnappte sich das Kissen und wandte sich zur Tür.

»Hey, was ist jetzt mit dem Sex?«, protestierte Bob, der immer noch auf dem Bett lag.

»Ich vögel’ nicht mit dir an einem Tatort!«

»Das ist immerhin kein komplettes Nein!«, frohlockte Bob, sprang vom Bett und folgte seiner Partnerin in den Flur.

Im Foyer wartete ihr Kollege Max Theiss auf sie.

»Da seid ihr ja! Ich wollte nur Bescheid sagen, dass wir inzwischen die Namen und Anschriften aller anwesenden Personen haben. Einige Angaben konnten wir aber nicht verifizieren, da sie keinen Ausweis dabeihatten«, sagte er bedauernd.

»Unerhört. Ohne Ausweis fühlt man sich doch nackt«, scherzte Linda.

»Ach weißt du«, warf Max schmunzelnd ein, »die drei Brautjungfern tragen alle keine Unterwäsche, ich glaube, die mögen es nackt.«

Bob wurde hellhörig.

»Ich glaube, ich muss mich noch einmal mit den drei Damen unterhalten …«

»Kommt nicht in die Tüte, wir haben noch zu arbeiten, und du Sack lässt mich mit dem Papierkram gefälligst nicht sitzen!«, rief Linda ihn zur Ordnung.

Max grinste.

***

Unerwartet früh bekamen die Ermittler am nächsten Tag die Meldung, dass die Untersuchung des Leichnams und der Wasserflasche abgeschlossen war. Wie erwartet war Rupert Porter vergiftet worden. In der Wasserflasche war kein Gift nachgewiesen worden, aber im Mund des Toten hatte der Gerichtsmediziner Reste einer Kapsel gefunden, die offenbar mit Blausäure gefüllt war. Nicht alle Fingerabdrücke auf der Flasche gehörten zu Porter, allerdings waren die anderen Fingerabdrücke auch nicht in der polizeilichen Datenbank erfasst.

Als sie aus dem Labor zurückkamen, fing ihr Vorgesetzter sie auf dem Flur vor ihrem Büro ab.

»Bob, Linda? Gute Nachrichten: Wir haben euren Kevin Plotkowiak gefunden«, verkündete er. »Ich hab’ Norman und Benny schon zu ihm geschickt, damit es schneller geht.«

»In welchem Bezirk wohnt der Knabe denn?«

»In gar keinem. Der wohnt auf dem Land, in Heidenwalde.«

»Macht Sinn, dann muss er nicht so vielen Nachbarn seinen Namen buchstabieren.«

»Logisch. Sagt Bescheid, wenn ihr weitergekommen seid«, sprach der Chef zum Abschied und verschwand in seinem Büro.

Zehn Minuten später klingelte Bobs Telefon.

»Inspektor Bob, Polizei, Abteilung Mord bis Mundraub.«

»Hey, hier ist Benny. Wir haben gerade mit eurem Kevin geredet. Schlechte Nachrichten für euch: Der hat ein wasserdichtes Alibi«, informierte die Stimme am anderen Ende. Bob schaltete den Lautsprecher ein, damit Linda mithören konnte.

»Inwiefern?«

»Der junge Mann arbeitet bei einer Reparaturwerkstatt für Landmaschinen. Und gestern war er mit seinen Kollegen den ganzen Tag 150 Kilometer entfernt und hat mit denen zwei Mähdrescher wieder zum Laufen gebracht. Der hat so viele Zeugen dafür, dass sein Alibi besser ist als unseres.«

»Verdammt. Kann er trotzdem mal vorbeikommen?«

»Moment, ich frage mal.«

Es dauerte einige Minuten, bis sich Benny wieder meldete.

»Er ist einverstanden, sein Boss auch, wir bringen ihn gleich mal rüber. Bis nachher!«

Es klickte im Hörer. Bob legte auf und schaute Linda nachdenklich an.

»Irgendwas kommt mir falsch vor an der Sache.«

»Keine Ahnung, was du meinst«, sagte Linda mit triefendem Sarkasmus, »was kann falsch daran sein, wenn ein Mann wenige Stunden nach seiner Hochzeit umgebracht wird?«

»Das meine ich nicht. Ich meine diese angebliche Fehde zwischen Porter und Plotkowiak. Porter ist ein Brite, der seit ein paar Jahren hier in der Stadt lebt und Versicherungsfritzen dabei hilft, ihren Windows-Hintergrund zu wechseln. Plotkowiak ist ein Landei, das Mähdrescher und Traktoren repariert. Woher sollen die sich kennen? Welche Schnittpunkte haben die beiden, aus denen überhaupt ein Konflikt entstehen könnte?«

»Da hast du wohl recht«, grübelte Linda. »Die können sich nicht mal aus der Kindheit kennen. Und alle, mit denen ich geredet habe, sind sich einig, dass Porter kein Partyhengst war, sondern eher introvertiert. Also sind die auch nicht in irgendeiner Disco aneinandergeraten. Und um die Braut haben die sich auch nicht geprügelt, denn die kennt den Plotkowiak überhaupt nicht.«

Sie tippte kurz auf der Tastatur ihres PCs herum.

»Im Zentralregister ist kein Eintrag für Kevin Plotkowiak. Vorbestraft ist er also nicht.«

Linda runzelte die Stirn.

»Meinst du, der kann uns überhaupt was sagen?«

»Ich hoffe es. Sonst schleppen Benny und Norman ihn umsonst hierher«, seufzte Bob.

***

Kevin Plotkowiak war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, kräftig gebaut, aber nicht dick. Offenbar hatte ihn schon früh der Haarausfall geplagt, weswegen er gleich den ganzen Kopf rasierte. Und im Moment saß er vor Bob und Linda im Vernehmungszimmer und lächelte die beiden Polizisten freundlich an.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte er arglos.

»Kennen Sie einen Rupert Porter?«

Kevin kaute auf der Unterlippe herum, während er angestrengt nachdachte.

»Nein, noch nie gehört«, antwortete er schließlich.

»Und eine Paula Blenkhorn?«

Wieder schüttelte er den Kopf.

»Tut mir leid, sagt mir auch nichts.«

Bob und Linda schauten sich an und teilten anscheinend dieselben Gedanken. Es war nicht zu erwarten, dass ein Verdächtiger sich einfach ans Messer liefern würde, aber dieser hier schien so aufrichtig zu sein, dass die Zweifel an seiner Verwicklung in die Sache mit jeder Sekunde größer wurden.

»Gibt es irgendwen, mit dem Sie Streit haben?«, fragte Linda.

Kevin guckte, als wenn Streit für ihn ein vollkommen unbekanntes Konzept wäre.

»Ich komme eigentlich immer gut mit jedem aus. Bei uns auf dem Dorf und in der Firma müssen wir uns ja alle gegenseitig unterstützen. Da ist gar kein Platz für ernsten Streit.«

»Und außerhalb des Dorfes?«, wollte Bob wissen.

»Da kenn’ ich eigentlich kaum jemanden. Wir fahren immer mal wieder raus und reparieren die Maschinen für fremde Leute, aber da lernt man die Kunden ja auch nur oberflächlich kennen.«

Bob nickte. Ganz offensichtlich hatte Kevin wirklich mit der Sache nichts zu tun. Die Frage war nur, wie sein Name ins Bewusstsein einer Hochzeitsgesellschaft geraten war, mit der er nie was am Hut hatte.

Linda zog ein Gruppenfoto der Hochzeitsgesellschaft aus dem Ordner vor ihr und legte es vor Kevin auf den Tisch.

»Schauen Sie sich das Foto ganz genau an. Erkennen Sie irgendwen darauf?«

Eigentlich wollte sie lediglich wissen, ob Kevin Rupert oder Paula am Aussehen erkennen würde, wenn er schon ihre Namen nicht kannte. Es war aber übliche Taktik, Fotos oder Fotosammlungen mit mehreren Personen vorzulegen, um Beeinflussungen zu minimieren, die einen Zeugen dazu bringen könnten, eine bestimmte Person zu identifizieren, nur weil der vernehmende Beamte es unterschwellig suggeriert.

Konzentriert blickte Kevin auf das Foto. Plötzlich runzelte er die Stirn und rückte näher.

»Die hier!«, rief er und tippte auf eine Person.

***

»Danke, dass Sie hergekommen sind«, sagte Linda freundlich zu der Frau. Die saß nun auf dem gleichen Stuhl, auf dem Kevin gestern saß, als er sie auf dem Foto identifizierte.

»Kein Problem«, sagte Mia Wanderer heiser, »aber ich wüsste nicht, wie ich Ihnen helfen kann. Ich habe Ihnen doch alles gesagt, was ich weiß.«

Ihr Gesicht war leicht gerötet. Bevor Linda sie ins Vernehmungszimmer führte, hatte sich Bob um sie gekümmert, ihr etwas zu trinken angeboten und heftig mit ihr geflirtet, um herauszufinden, ob sie häufiger auf Unterwäsche verzichtet. Linda hatte die Szene still aus dem Hintergrund beobachtet und musste sich ein Lachen verkneifen, als Bobs Süßholzraspeln bei Mia ganz offensichtlich gewisse Erfolge zeigte und sie unruhig ihre Beine aneinander rieb.

Nun aber saß sie der wesentlich sachlicher auftretenden Linda gegenüber und musste sich wieder in den Griff kriegen.

»Paula, Jessica, Melina, Sie und ein paar andere haben uns erzählt, dass es eine Fehde zwischen Rupert Porter und Kevin Plotkowiak gab.«

»Ja. Und?«

»Wir haben gestern alle anderen gefragt, woher sie davon wussten. Schließlich hatte Rupert nie über eine Fehde geredet«, fuhr Linda fort. »Und alle haben schließlich einstimmig erklärt, dass Sie ihnen das erzählt hätten.«

Mia rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her, aber blieb stumm.

»Woher wussten Sie es?«, fragte Linda ruhig.

»Rupert hatte es mir mal im Vertrauen gesagt«, antwortete Mia schließlich.

»Wann?«

»Ich weiß nicht mehr. Vor drei Wochen oder so«, erwiderte Mia fast trotzig.

»Das ist seltsam. Laut den Aussagen der anderen haben Sie vor etwas über einem Monat angefangen, von Kevin Plotkowiak zu reden.«

»Dann war es eben vor über einem Monat!«, rief Mia. »Wir haben geholfen, die Hochzeit zu organisieren, das ist stressig! Da kann man schon mal das Zeitgefühl verlieren!«

In diesem Moment kam Bob herein, nickte Linda zu und setzte sich neben sie.

»Reden wir über den Tag der Hochzeit«, setzte Linda das Verhör fort. »Wo waren Sie in der Stunde, bevor Paula ihren Mann fand?«

»Na auf der Feier, mit den Mädels! Das haben wir doch schon gesagt!«

»Die ganze Zeit?«

»Wir waren auch mal auf dem Klo. Was soll die verdammte Fragerei?«

»Jessi und Melina meinten, Sie wären ungefähr eine Dreiviertelstunde vorher aufs Klo gegangen und ganze zwanzig Minuten weg gewesen.«

»Ja, ich brauche manchmal eben etwas länger, ist das verboten?!«

»Wir haben gefragt: Keiner kann sich daran erinnern, Sie um die Zeit in der Nähe der Toiletten gesehen zu haben. Dabei staute sich dort gerade der Verkehr, weil die Angestellten Kotze aufwischen mussten.«

»Ja, eben deswegen bin ich dann hoch auf mein Zimmer und dort aufs Klo gegangen!«, konterte Mia wütend. »Was soll das? Wollen Sie mir diesen Mord etwa in die Schuhe schieben? Kümmern Sie sich lieber um diesen Kevin Plotkowiak!«

»Der ist Ihr Bruder!«, ließ Bob die Bombe platzen. »Deswegen konnten Sie keinen Ausweis zeigen, als Sie von der Polizei nach Ihren Personalien gefragt wurden. Sie heißen eigentlich Mia Plotkowiak. Sie versuchen seit über einem Monat, Ihren Freunden einzureden, dass Ihr Bruder mit Rupert verfeindet sei. Und dann stirbt Rupert. Ist das nicht ein seltsamer Zufall?!«

»Vielleicht ist es einer!«, rief Mia. »Ich war auf dem Klo in meinem Zimmer, als Rupert erschossen wurde! Und was anderes können Sie mir nicht beweisen!«

»Rupert wurde nicht erschossen«, erwiderte Bob ruhig.

Mia schaute ihn mit großen Augen an.

»Die Frage ist, woher Sie wissen, dass auf ihn geschossen wurde. Bei ihm war keine Schusswunde zu sehen. Es war auch nirgendwo Blut. Niemand, der die Leiche nur oberflächlich gesehen hat, käme auf die Idee, dass er erschossen wurde«, erläuterte Linda.

Mia starrte sie hasserfüllt an.

»Ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte. Vielleicht können Sie ja eventuelle Ungenauigkeiten später korrigieren«, sprach Bob. »Rupert war seit etwa zehn Minuten verschwunden, als Sie sich unter dem Vorwand eines Stuhlgangs nach oben begaben. Sie klopften mit einer Blausäurekapsel und einer Wasserflasche in der Hand an die Tür zur Hochzeitssuite, und Rupert, der gerade aus der Dusche kam, öffnete Ihnen. Sie erzählten ihm irgendeine Geschichte, dass er die Kapsel kauen sollte. Das tat er. Er fiel um und starb wenige Minuten später. Dann holten Sie eine Pistole hervor, nahmen ein Kissen vom Bett als Schalldämpfer und schossen auf ihn. Sie verfehlten ihn allerdings, was Sie aus irgendeinem Grund nicht bemerkten. Dann zerschlugen Sie die Fensterscheibe und verließen mit der Pistole und dem Kissen das Zimmer. In Ihrem Zimmer bügelten Sie dann Herzen auf die Löcher im Kissen, das Sie wieder in die Hochzeitssuite zurückschmuggelten, nachdem die Polizei dort fertig war.«

»Sie haben eine blühende Fantasie«, presste Mia wütend hervor.

»Und Beweise. Ich habe die Fingerabdrücke von dem Glas genommen, das ich ihnen vorhin gegeben habe. Sie stimmen mit denen auf der Wasserflasche überein, die bei der Leiche gefunden wurde. Wir haben außerdem die Pistole im Spülkasten Ihres Hotelzimmers gefunden. Und bevor ich reinkam, habe ich einen Anruf erhalten, dass bei einer Durchsuchung Ihrer Wohnung Blausäure gefunden wurde. Und noch ein paar Herzen zum Aufbügeln«, erklärte Bob.

»Sie können also ruhig auspacken. Sie sind so oder so überführt«, fügte Linda hinzu.

Mia sank in sich zusammen und nickte schließlich.

»Ich hab’ ihm gesagt, es wäre eine Vitaminmischung. Und als er dann umfiel, habe ich mit der Pistole das Fenster eingeschlagen, damit der Blausäuregeruch verfliegt«, murmelte sie leise. »Ich kann kein Blut sehen, also hab’ ich auf ihn gezielt, so gut es mit dem Kissen ging, und beim Abdrücken dann weggeguckt. Und dann bin ich rausgerannt. Mit dem Kissen und der Pistole.«

»Warum die Wasserflasche? Und warum haben Sie die nicht mitgenommen?«, fragte Bob.

»Ich hatte gelesen, dass Blausäure bei 25 Grad anfängt zu kochen. Also hab’ ich die Wasserflasche und die Kapsel im Kühlschrank aufbewahrt und dann die Kapsel ständig an die Flasche gehalten, damit die Kapsel kühl bleibt, solange ich sie in der Hand halte«, sprach Mia tonlos. »Nachdem ich auf ihn geschossen hatte, wollte ich ja nicht hingucken. Das Blut, Sie verstehen? Und deswegen konnte ich auch die Flasche nicht mitnehmen. Aber ich dachte, dass man sowieso denken würde, er wäre erschossen worden, und die Flasche wäre dann egal.«

Nach einer Minute des Schweigens räusperte sich Linda.

»Jetzt die große Frage: Warum? Was hat Rupert Ihnen getan, um das zu verdienen?«

»Rupert? Gar nichts«, sagte Mia verwirrt, als wenn das selbstverständlich wäre. »Rupert musste sterben, damit Kevin eine Strafe kriegen kann.«

»Und womit hat Ihr Bruder das verdient?«

»Er ist ein Verräter!«, platzte es aus Mia hervor. Auf einmal war wieder die Wut da, mit der sie vorhin ihre Unschuld beteuerte. »Er ist schuld, dass ich verurteilt wurde!«

Bob und Linda schauten sich verwundert an.

»Verurteilt? Wir haben im Zentralregister keine Verurteilung für Sie gefunden.«

»Ich war vierzehn. Ich hab’ auf Drogen das Auto von Papa geklaut und bin damit in ein Buswartehäuschen gekracht. Und mein Scheißbruder hat einfach zugesehen, wie ich vor Gericht gestellt wurde!«

»Hatte er denn etwas mit den Drogen oder dem Unfall zu tun?«

»Nein, verdammt, aber als älterer Bruder wäre es seine Pflicht gewesen, seine kleine Schwester zu beschützen! Stattdessen grinst das Arschloch mich an, als die mich zu Sozialstunden verurteilt haben, und meint auch noch, dass ich hoffentlich meine Lektion gelernt hätte. Und Mama und Papa stimmen ihm auch noch zu! Da habe ich mir geschworen, dass ich mich rächen werde!«

Die letzten Worte hatte Mia voller Zorn herausgebrüllt. Bob und Linda wechselten entsetzte Blicke.

»Sie haben einen vollkommen Unbeteiligten umgebracht, um sich an Ihrer Familie zu rächen?«, hakte Bob nach.

»Ich musste doch was tun! Ich lasse mich nicht demütigen!«, rief Mia.

»Was ist mit Paula? Ihrer Freundin? Haben Sie überlegt, was Sie ihr damit angetan haben?«

»Wie … wie meinen Sie das?«, fragte Mia, als wenn der Gedanke vollkommen neu für sie wäre.

»Sie haben den Mann umgebracht, den sie liebt. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen!«, sagte Linda fassungslos. Sie konnte kaum glauben, dass sie das erklären musste.

»Aber wie kann man noch jemanden lieben, der tot ist?«

Bob war ebenso baff wie Linda.

»Sie haben sie doch weinen sehen, nachdem sie ihren Mann fand. Was dachten Sie, wieso sie das tut?«

»Na weil die Feier ruiniert war mit den ganzen Polizisten, die da herumliefen«, sprach Mia, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

Linda atmete tief durch und klappte die Akte vor sich zu.

»Ich glaube, wir sind hier fertig. Ich erkläre Ihnen die vorläufige Festnahme wegen des dringenden Tatverdachts des Mordes an Rupert Porter …«

***

Bob und Linda saßen auf einer Bank im Stadtpark und schauten der Abendsonne beim Untergehen zu.

»Glaubst du, sie ist schuldfähig?«, fragte Linda schließlich.

Bob zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht. Ich bin auch froh, dass ich das nicht entscheiden muss.«

Er massierte sich die Schläfen.

»Immerhin bin ich erleichtert, dass ich wieder mit meiner Ahnung richtiglag.«

Linda blickte ihn überrascht an.

»Du hast sie verdächtigt? Seit wann?«, fragte sie skeptisch.

»Seit uns die Brautjungfern erzählt haben, dass Mia allein aufs Klo gegangen wäre. Das war einfach eine zu dreiste Lüge«, dozierte er.

»Bob? Du bist wirklich ein Spinner.«

»Du stehst auf Spinner.«

»Manchmal.«

Linda legte den Kopf auf Bobs Schulter. Bob lächelte zufrieden.

ENDE

Diese Geschichte ist zusammen mit dem Roman "Ein tödlicher Fall" und der Geschichte "Das Haus der nackten Mörderinnen" im ersten Buch zu Bob & Linda enthalten. Jetzt bestellen! Auch in diesen Online-Shops erhältlich!